Thilo Billmeier
Handlichkeit: Zu neuen Arbeiten von Nataly Hocke

Nataly Hockes neueste Objekte und Installationen sind aus Holz oder Glas und zumeist aus Holz und Glas gearbeitet. Für diese Materialwahl gibt es eine Reihe verschiedener Gründe, unter denen das Ensemble der Arbeiten recht deutlich ein thematisches Motiv hervortreten lässt. Es geht hier darum, die Objekthaftigkeit von Plastik auf sehr unterschiedliche Weisen mit dem pikturalen Charakter zu verbinden, der Bilder auszeichnet. Innerhalb der Tradition sind Altar und Bilderrahmen die prominentesten Formen, in denen das Objekt im Raum mit der Illusion eines Raumes jenseits des Objekts zusammengesetzt erscheint. Auf beide Vorlagen – den Rahmen und den Altar – nimmt Nataly Hocke mit ihren Arbeiten Bezug.

Eine Installation mit dem Titel Schwierige Überfahrt konfrontiert uns mit einer Raumecke, deren Grundriss in etwa dem Grundriss des Galerieraumes entspricht, für den sie entworfen wurde. Die Ecke trennt zwei Systeme voneinander: einmal das visuelle System des Bildes, das sich im Durchblick durch die Tür in der Ecke auf ein Bild an der Wand dahinter herstellt. Und zum andern das dingliche System von Sockel, Schale und Glas vor der Ecke – ein System, dem man bedenklich nahe kommt, wenn man sich vom Bild im Hintergrund anziehen lässt. Umgekehrt versperrt der Rahmen im Raum auch den Zugang zum Bild an der Wand. Es ist dieses zugespitzte Wechselspiel von Ding und Bild, aus dem den beiden Polen ihre spezifische Inhaltlichkeit zufließt. Das Bild an der Wand wird in seiner handgreiflichen Materialität – die bemalte Scheibe zeigt Spuren der Zerstörung – gleichwohl zum Bild der Ferne. Die plastisch versorgten oder „geheilten“ Gefäße auf dem Sockel ziehen sich in das Bild ihrer selbst zurück – man meint statt Dingen im Raum ein gemaltes Stilleben vor sich zu haben (etwa eines von Morandi). Was dabei geschieht, ist ein Merkmal auch der übrigen neuen Arbeiten von Nataly Hocke. Um alle Plastiken zieht sich ein durchsichtiger Vorhang zusammen, eine Glocke aus klarem Glas entsteht, die die Plastiken vor Berührungen im Raum schützt. Die Objekte offenbaren hier so etwas wie ihre eigene bloße Ansichtigkeit. Diese Bewegung ist umso faszinierender, je deutlicher die Plastiken ihre Dinglichkeit zur Schau stellen. So ist der Sockel für das Stilleben aus den Scheuerleisten gebildet, die einst am Fußboden eines Berliner Galerieraums entlang liefen. Der Titel der Installation, „Schwierige Überfahrt“, geht auf ein gleichnamiges Aquarell von René Magritte zurück. Magrittes Werk ist ohne Zweifel von einem ähnlichen thematischem Interesse geleitet, seine Untersuchungen zum Verhältnis von wirklichem Ding und illusionshaftem Bild bewegen sich allerdings selbst im Medium des Bildes – so dass die Bildhauerin ihm sozusagen im komplementären Medium antworten kann.

Für viele Arbeiten von Nataly Hocke ist ein hohes Maß an gedanklicher Ökonomie kennzeichnend. So beschreiben zwei in einander gelagerten Räder eine denkbar knappe Lösung für die Verschränkung von Bild und Ding. Die Asymmetrie zwischen den beiden beweglichen Rädern wird dabei sowohl zum Ausdruck des Nichtpassens, der Brachialität der Konfrontation, in der der Rahmen als Bild sich selbst enthalten soll, als auch zum Träger jener gläsern-schwebenden dinglichen Gegenwart, in die die ganze Arbeit entrückt erscheint. Auch hier lässt sich übrigens eine vielleicht auch über die Farbe hergestellte architektonische Vermittlung zwischen Bild und Ding vermuten. Im geschlossenen System wird, wie als Antwort auf die furchtbaren Bunkerringe von Bruce Nauman, ein dezidiert offener Raum beschrieben.

Architektonisch konnotiert ist auch eine Arbeit, die aus einer Reihe beweglicher Spiegelstäbe in einem rechteckigen Holzkasten besteht – eine Mischung zwischen „Alibert“ und „Lüftung“ (En passant). Hier wird die Bildfläche innerhalb des Rahmens in ihre Materialität zurückübersetzt, und zwar so, dass – im Unterschied zu den vermalten Scheiben sonst – die Bildfläche sich zugleich realiter öffnet. Die weiße Farbe, die es den Holzarbeiten Nataly Hockes sonst erlaubt, sich im weißen Galerieraum gewissermaßen zurückzuziehen, und die im Ensemble „italienisches“ Flair verbreitet – allerdings mehr im Sinne von arte povera als von Pizzeria – dieses Weiß ruft im Falle der Lüftung unmittelbar die gründerzeitliche Ochsenblut- und Weißlackwelt auf, die in Berlin eine eigentümlich gespenstische Gegenwart bewahrt hat.

Nur eine unter den letzten Arbeiten hat gar nichts mit Weiß zu tun und gar nichts mit Holz. Es handelt sich um ein kleines Täfelchen aus Glas, dessen eingelegte Zeichnung an Fenster oder auch Grundrisse erinnern mag. Der Titel Pall Mall lässt die Straßen New Yorks assoziieren. In Wahrheit – aber was heißt hier: in Wahrheit? – in Wahrheit also bildet das Papiergeäder zwischen den Glasscheiben die bildhauerisch stringente Rückführung einer plastischen Form in eine grafische Gestalt. Es war eine Zigarettenschachtel – Marke Pall Mall light – die Nataly Hocke mit der Schere bearbeitet hat.

Zwei weitere Arbeiten scheinen sich der Thematik von Bild und Ding zu entziehen, nämlich eine beunruhigend organische Form mit dem ebenfalls beunruhigenden Titel „Neophyt“ (das Wort bezeichnet dem Wörterbuch zufolge den ‚Neuling in einer mystischen Vereinigung’, gleichzeitig geht die Vokabel auf das griechische phytós = gewachsen zurück, also eigentlich ein „Neugewachsenes“ wenn nicht gar „Neugewächs“); zum andern eine hohe Plastik aus einem Balken, die man terminologisch wohl als „Stele“ zu spezifizieren hätte: Nataly Hocke bleibt mit guten Gründen lieber bei Balken. Beide Plastiken haben also nichts mit dem Thema Bild und Ding zu tun – sie führen jedoch ein Merkmal der Hockeschen Arbeit vor Augen, das sich bei den anderen Arbeiten nur erahnen lässt und dennoch auch für sie von großer Bedeutung ist.

Wenn Nataly Hocke von ihrem Neophyten spricht, geht es zwar auch um die gestaltlichen Assoziationen, die man – vornehmlich FreundInnen und KollegInnen - mit der Plastik verbinden kann (eine Mischung von verselbständigt Fremdvegetabilem mit sexueller Provenienz auf kleinen Füßchen, wenn ich das so nennen darf); im Vordergrund ihrer eigenen Perspektive steht jedoch ein typisch bildhauerischer Aspekt des Materials. Das Holz, aus dem der Neophyt gemacht ist – Rubinie – ist extrem hart und dicht, also nicht leicht zu bearbeiten und schwer zu heben. Der Neophyt ist quasi „unzerstörbar“, und es gehorcht einer eigentümlich inversiven bildhauerischen Logik, diesem Materialbrocken die amorphe, wie es scheint ganz weiche Gestalt aufzuprägen. Nur in den Jahresringen, die der Oberfläche der Plastik etwas Pulsierendes verleihen, scheint das Holz diese Form verlangt zu haben. Was in diesem Befund bemerklich wird, ist, dass jede Formgebung eine Zerstörung impliziert. Eine Zerstörung, der vom Material im Zweifelsfall erbitterter Widerstand entgegengesetzt wird. Im Sog, den der eigenartige Körper gerade über größere Entfernungen hinweg ausüben kann, scheint noch etwas von dieser rigiden Widersetzlichkeit aufzuscheinen.

Beim Balken ist die rechte obere Ecke verletzt worden, vermeintlich um sie schöner zu machen. Die Form, für die das Material sich hier hergeben muss, widerspricht dabei dem Charakter des Balkens ziemlich brutal: Sie ist zierlich, fast zart, organisch und irgendwie durchscheinend, wie ein Knie aus Wachs oder eine Schulter aus Porzellan. Die Gestalt bleibt zugleich jedoch in den imaginären Umriss des Balkens eingebunden. Beides zusammen wirkt auf schwer zu bestimmende Weise surreal. - Die Plastik ruft paradigmatische plastische Situationen auf, primär die Situation, in der die Form schon als im Material vorhanden gedacht wird, man muss sie nur freilegen, und den Konsequenzen dieser Vorstellung bei Michelangelo und vor allem bei Rodin. Doch diese Assoziation führt in die Irre. Wieder ist es die genuine Materialität des Holzes, die für Hocke bis in scheinbar abwegige Charaktere hinein Bedeutung für die Gestaltgebung gewinnt. Der Balken ist in seinem Gewicht und seiner Größe unhandlich. Und das „Bein“, das Nataly Hocke ihm einprägt, ist in erster Linie ein Griff, um den Balken handhabbar zu machen. Die plastische Form ist also die Stelle, wo die Hand buchstäblich in den Balken eingreift und ihre eigenen Formcharaktere quasi als Negativ durchsetzt. Der Begriff, der immer wieder fällt, wenn man sich mit Nataly Hocke über diese Struktur unterhält, ist der der Handlichkeit. Handlichkeit bedeutet einmal die Perspektive auf ein Material, in der dieses Material bereits in seinen eigenen plastischen Qualitäten ernstgenommen wird und in der deshalb jeder Eingriff als konkrete plastische Umformulierung und zugleich als Verletzung des Vorgegebenen gelesen werden will. Zweitens und darüber hinaus beschreibt der Begriff der Handlichkeit im Werk Nataly Hockes eine bestimmte Weise, in der sich Inhalte zur Geltung bringen. Die Thematik von „Ding und Bild“ könnte ja in einer Weise behandelt werden (und ist auch so behandelt worden), dass der analytische Gewinn auf Kosten der eigentümlichen Verschlossenheit geht, der jeder guten Plastik eigen ist. Davon kann bei Nataly Hocke offensichtlich keine Rede sein. Es gilt aber auch umgekehrt: Die surrealistischen, von Kurt Schwitters über Rebecca Horn reichenden Traditionen, in denen Nataly Hockes Sprache sich verorten lässt und in denen die grundsätzliche Verschlossenheit von Plastik sich sehr nachdrücklich manifestiert, erscheint in Hockes Arbeit auf angenehme Weise vom oftmals dominanten Charakter des Numinosen gereinigt. Am deutlichsten und zugleich frappantesten dringt dabei wohl eine große, ganz verschlossene Rahmen-Arbeit in die Geheimnisse ein, die Bild und Ding miteinander haben (Can-Kraft). An ihr wird deutlich, dass „Handlichkeit“ keineswegs im Widerspruch zur erhabenen Geste stehen muss. Das Werk Nataly Hockes gibt damit, wie man von guter Kunst erwarten darf, stetig zu denken und wird ohne Zweifel auch weiterhin zu denken geben.

September 2009
 
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Schwierige Überfahrt, 2009


Can-Kraft, 2009
80x88x11 cm
Holz, Tipp-Ex