Kolja Kohlhoff
Die Räume Nataly Hockes - Zwischen Transit und Transformation

„Skulpturen sind Raumschiffe“ postuliert Nataly Hocke. Raumschiffe sind komprimierte Räume, die sich als geschlossene Systeme in einem offenen Raum bewegen. Hockes Definition der Skulptur steht im Zusammenhang mit einer Installation, die sie 1996 am unwirtlichen Ort der Baustellenseen im Weinhaus Huth, dem einzigen Haus der Vorkriegsbebauung am Potsdamer Platz, schuf. Ihr „Raumschiff“ bestand aus einer Assemblage von geschaffenen künstlerischen Objekten und Arbeitsmaterialien – Notizen, gefundene Gegenstände und Gedichte –, die sie mit dünnen bläulichen Hölzern verpuppte. Die Anordnung der unterschiedlichen Objekte, ihre Kunstproduktion sowie den Fundus dieser Produktion wurde durch die Holzgitterstruktur der Raumschiffkapsel geschlossen und verdichtet. Das scheinbar Arbiträre und Offene der Umschließung ermöglichte es, dass die Bedeutung der Objekte und ihres Zusammenhangs je nach dem eingenommenen Standpunkt ständig neu gestiftet wurde. Der Künstlerin Raumschiff ist also ein komprimierter, in sich offen strukturierter ästhetischer Raum, der sich vom Umraum abkapselt und dennoch ihm gegenüber durchlässig bleibt.
Das auf Rädern stehende Raumschiff zweiter Generation, das Hocke zu Beginn des Jahres aus einem entfernten Türrahmen der Galerie delta 35 in Berlin baute und dort den Mittelpunkt ihrer Ausstellung „Paralogische Raumfahrt“ bildete, weist eine ganz andere Form auf. Der ehemalige Durchgang wird zu einem transitorischen Raum mit Sitzgelegenheit und Ausblick nach oben. Raumbegrenzung und Raumöffnung bedingen sich gegenseitig. Dieses „kleinste Gästezimmer der Welt“ (Hocke) wiederum ist die Umkehrung des „Gästezimmers“, das sie ein Jahr zuvor in Kassel geschaffen hat. Dieses definierte sich allein durch seine Ausmaße des Bodens, eine tief hängene nackte Glühbirne und eine schräggestellte und auf diese Weise als geöffnet markierte Tür. Auch diese Öffnung verwies also auf ein Hindurchgehen. Im Gegensatz zum beweglichen „Raumschiff 2“, das eine Einladung zum flüchtigen Verweilen ist, war der Kasseler Gästeraum jedoch „besetzt“. Eine an der Tür hängende Jacke verwies zeichenhaft auf den da seienden oder da gewesenen Gast.
Nataly Hockes künstlerische Strategie der paralogischen Raumfahrt besteht im Kombinieren und Modifizieren von gefunden Objekten, in die sich Spuren nicht oder nur ansatzweise dechiffrierbarer Geschichte eingeschrieben haben. Bezeichnet die Paralogik das Verknüpfen falscher logischer Schlüsse, das zu scheinbar logischen Erkenntnissen führt, bietet das Zusammenführen von Gegenständen unterschiedlicher Funktion und unterschiedlichen Gebrauchs durchaus neue und vor allem andere Formern der Erkenntnis. Hocke transformiert Wertloses, Weggeworfenes oder Überholtes zu neuen Bildern. Zu Raum-Bildern. Zu Räumen, die sich paradoxerweise sowohl durch Schließung wie durch Öffnung definieren. Einschluss und Ausschluss bedingen sich gegenseitig, beides festgehalten im Augenblick des Übergangs vom einen ins andere. Arbeiten wie „Raumkapsel“ und „o.T.“ bieten einen Einblick, der stets zu einem Durchblick wird. So ist der Moment räumlicher und zeitlicher Transitorik entscheidend in Hockes Werk. „Hier wurde Raum verschenkt, man kann hindurch, aber nicht vorbei“ , sagt die Künstlerin. Er ist eine Gabe. Im Boden See Zimmer gibt sie uns ein geöffnetes „Kreisfahrtpaddel“ (Hocke) an die Hand, mit dem der See des Zimmers zu durchmessen ist.

Kat.: Bodenseezimmer, Kunstverein Ravensburg, 2007
 
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Weinhaus Huth,Potsdamer Platz 1996